Kann man hochsensible Babys erkennen?
Entgegen der Meinung vieler, behaupte ich – Ja! Man kann Hochsensibilität bereits in den frühen Monaten erkennen, wenn man weiß, worauf man achten kann.
Hochsensible Menschen nehmen grundsätzlich Reize (also Information und Daten) von außen und auch von innen eindrücklicher auf und verarbeiten diese dementsprechend komplexer.
Einfach ausgedrückt nimmt das Nervensystem dieser Menschen mehr Information auf und es gibt daher auch mehr Daten, die verarbeitet werden müssen.
Diese Art der Informationsaufnahme und dessen Verarbeitung ist angeboren und bei ca. 15-20 % der Menschen zu beobachten.
Einige Psychologen, darunter der 2021 verstorbene Jerome Kagan, hat als renommierter Entwicklungspsychologe beispielsweise an Säuglingen ihre Reaktion auf unterschiedliche Bedingungen erforscht.
Er stellte fest, dass eine kleinere Gruppe, ca. 15-20 %, schneller und intensiver auf Reize reagierte. Diese Säuglinge reagierten grundlegend anders, empfindsamer und schreckhafter, wenn sie neuen Reizen ausgesetzt wurden.
Er nannte sie damals „high-reactive“ und führte diese Reaktion auf ein angeborenes Temperament zurück. Damals war der wissenschaftliche Ausdruck Sensory-Processing Sensitivity, also der wissenschaftliche Ausdruck für ‚hochsensibel‘, der durch Elaine Aron und ihren Mann Art geprägt wurde, noch nicht erforscht.
Der wichtigste Punkt an dieser Stelle ist: Hochsensibilität ist angeboren.
Hochsensible Babys haben also weder eine Krankheit noch eine Störung, sondern einfach nur ein erhöht arbeitendes Wahrnehmungssystem. Hier findest du mehr zu High Need Baby oder hochsensibel?
Wie erkennst du hochsensible Babys?
Die folgenden Verhaltensmerkmale sind typisch für eine große Zahl hochsensibler Babys. Es müssen nicht alle Merkmale bei jedem Baby vorkommen und auch die Ausprägung variiert von Familie zu Familie. Nimm sie gerne als grobe Richtlinie.
Intensiver Körperkontakt:
Viele hochsensible Babys benötigen den nahen Kontakt zu den Bezugspersonen. Ganz viele von ihnen können in den ersten Monaten kaum abgelegt werden, ohne zu Weinen oder Schreien zu beginnen.
Die meisten lieben es, in einem Tragetuch oder einer geeigneten Tragehilfe direkt am Körper getragen zu werden und genießen diese Sicherheit. Es scheint so, als hätten sie einen Sensor eingebaut, der Alarm schlägt, sobald sie die Schutzzone 'Mama' verlassen.
Viele stillende Mütter berichten weiters von sehr kurzen Stillabständen (besonders auch in der Nacht) und einem regelrechten ‚Andocken‘ an der Brust.
Hohe Geruchsempfindlichkeit:
Es lässt sich beobachten, dass hochsensible Babys einen stark ausgeprägten Geruchssinn haben. Sind sie bestimmten Gerüchen länger ausgesetzt, reagiert ihr Nervensystem über und das Baby beginnt meist zu weinen.
Es empfiehlt sich insbesondere in den ersten Monaten auf Parfums, Düfte, parfümierte Waschmittel und dergleichen zu verzichten, um die feine Nase eines hochsensiblen Babys nicht über Gebühr zu strapazieren.
Hohe Lärmempfindlichkeit:
Kennst du den Tipp, Babys schlafen am besten, wenn drumherum das Leben brummt? Bei den meisten hochsensiblen Babys ist das nicht zutreffend. Je mehr Lärm und Geräuschreize in der Umgebung zu hören sind, desto angespannter scheinen sie sich zu fühlen.
Diese Anspannung lässt sie wiederum nicht leicht einschlafen und schlechter weiter schlafen. Durch ihr absolut feines Gehör sind viele hochsensible Babys schreckhafter und oft hat man das Gefühl, sie hören sogar eine Fliege beim Nachbarn zwei Stockwerke höher summen.
Viele Mama-Babykurse finden in Umgebungen statt, die eine hohe Geräuschkulisse aufweisen (laute Schwimmhallen, andere weinende Babys, unbekannte Erwachsenenstimmen) und hochsensible Babys fühlen sich in solchen Umgebungen häufig sehr unwohl.
Erhöhte Materialempfindlichkeit:
Besonders bei den Schreibabys unter den hochsensiblen Kindern lässt sich zu den vorher beschriebenen Merkmalen oftmals auch eine große Abneigung gegen viele Stoffe und Materialien erkennen. Die Haut dieser Kinder scheint Reize durch Kleidung in erhöhter Form zu verarbeiten, sodass entweder nur wenige Materialien toleriert werden können oder das Baby am liebsten den ganzen Tag nackt wäre.
Weiters können Cremes, Lotionen, Puder und sogar Wasser (Temperatur, Wasserstrahl) so überreizend sein, dass ein hochsensibles Baby das mit Schreien und Weinen quittiert. Durch feine Beobachtung lässt sich hier Abhilfe schaffen.
Gerade, wenn eine oder mehrere dieser oben beschriebenen Merkmale stark ausgeprägt ist, verweigern diese Babys das Mitmachen bei den heute üblichen Babykursen (wie z.B. Babyschwimmen, Krabbelgruppen, PEKIP, Babymassage, Babytreffs ...). Es scheint schier unmöglich, solche Programme mit dem Baby zu besuchen, das berichten uns viele Mütter.
Einen kurzen Artikel über den möglichen Zusammenhang der Begriffe: Hochsensibel, High Need Baby und Schreibaby findest du hier.
Gute Beobachter:
Viele hochsensible Babys haben eine ausgeprägte Neugier und nehmen häufig Feinheiten in der Umgebung wahr. Dies ist daran erkennbar, dass sie häufiger und schneller müde werden, aber in der wachen Phase sehr konzentriert und fokussiert wirken.
Weiters nehmen sie oftmals die Atmosphäre in der Umgebung intensiver wahr und so kommt es, dass die Stimmung der Eltern vom Baby übernommen und stark 'mit-erlebt' wird. Die Laune der Bezugspersonen scheint in diesen Fällen stärker auf das Baby abzufärben, als bei nicht-hochsensiblen Babys.
Es lässt sich weiters erkennen, dass diese Babys eine Art Auftau-Phase benötigen, bevor sie sich ins aktive Geschehen stürzen. Lässt man ihnen diese Zeit nicht, endet das häufig in kompletter Verweigerung.
Hohe Selbstbestimmung und Autonomie:
Hochsensible Babys sind oft mit einer großen Durchsetzungskraft ausgestattet. Schon Jesper Juul beschrieb diese Gruppe von Babys folgendermaßen:
'Sie haben einen starken Willen, sind immerzu wach, neugierig und aktiv, oftmals nicht kuschelig, aber sehr anhänglich, sehr weit entwickelt und oft überhaupt nicht so, wie man sich ein Baby so vorstellt.'
Dieses hohe Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung zieht sich durch die ganze Kindheit und macht das Leben mit diesen Kindern spannend und interessant. Mehr darüber kannst du hier lesen: https://www.tinapichler.com/8-tipps-willensstarke-kinder/
Schnelle Entwicklung:
Viele hochsensible Babys scheinen in ihrer Entwicklung schneller unterwegs zu sein. Sie lassen häufig typische Entwicklungsphasen aus - beginnen früher zu krabbeln oder zu gehen als andere und sind meist auch in ihrer Sprachentwicklung sehr rasch.
Auch die sogenannte 'asynchrone Entwicklung' zeigt sich schon bei hochsensiblen Babys, wenn sie in einem Bereich beispielsweise eher 'hinten nach' sind, in anderen Bereichen den Gleichaltrigen aber viele Monate voraus.
Der beste Hinweis, ob Hochsensibilität zutrifft?
Das beste Indiz für eine Hochsensibilität beim eigenen Nachwuchs ist es natürlich, wenn die Eltern sich selbst als hochsensibel erkennen. Wenn du als Mama oder Papa bereits weißt, dass du hochsensibel bist, dann ist es naheliegend, dass du ein hochsensibles Kind in die Welt bringst.
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