Extravertierte Hochsensible? Zwischen Gaspedal und Bremse
Während Hochsensibilität oft mit Introversion assoziiert wird, gibt es auch eine spannende Minderheit von etwa 30 %, die das Gegenteil verkörpert: extravertierte Hochsensible.
Sie sind soziale Wesen, suchen Abenteuer und nehmen Risiken in Kauf – Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick nicht zu den typischen Beschreibungen hochsensibler Menschen passen.
Der Reiz des Neuen versus die öde Routine
Der Begriff "Sensation Seeking" beschreibt das angeborene Bedürfnis, neue, komplexe und intensive Eindrücke zu erleben – immer wieder aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, um Neues zu wagen.
Diese Kombination aus Hochsensibilität und Sensation Seeking wirkt wie ein innerer Konflikt:
Der reizverarbeitende Anteil möchte innehalten und überdenken, während der intrinsisch-motivierte abenteuerlustige Teil nach vorn prescht.
Dr. Elaine Aron vergleicht es mit einem Fuß auf dem Gaspedal und dem anderen auf der Bremse.
Vielbegabt und wissensdurstig bis zum Lebensende
Ein verwandtes Konzept beschreibt Barbara Sher: sogenannte Scanner-Persönlichkeiten.
Diese Menschen haben unzählige Interessen, eine unstillbare Neugier und möchten sich nicht auf ein einziges Gebiet festlegen – was sie oft als Vielbegabte oder ‚Multipotentials‘ auszeichnet.
Auch Sher schreibt, dass hochsensible Scanner sehr typisch zwischen den Welten der intensiven Reflexion und der Freude an neuen Erfahrungen leben.
Zwei Gehirnsysteme, die uns steuern
Die scheinbaren Gegensätze zwischen hoher Reizwahrnehmung und immerwährenden Streben nach neuen Erfahrungen lassen sich neurologisch erklären. Zwei Gehirnsysteme spielen hier eine Schlüsselrolle:
- Das Verhaltens-Hemmsystem (BIS), das Entscheidungen überlegt abwägt, gespeist durch Serotonin.
- Das Verhaltensaktivierungssystem (BAS), das uns leitet, Neues zu erkunden, angetrieben von Dopamin.
Bei extravertierten Hochsensiblen sind beide Systeme besonders aktiv – eine faszinierende Kombination, die diese Menschen einzigartig macht.
Übrigens findest du hier ein paar Tipps zur Reizregulation in Alltags-Situationen.
Die richtige Balance finden? Eine Kunst!
Diese Hochsensiblen stehen vor einer einzigartigen Herausforderung: Sie suchen ständig die optimale Balance zwischen zu viel und zu wenig Stimulation.
Dieses Leben zwischen den Welten kann sie regelrecht zerreißen. Einerseits sind sie leicht überreizt, andererseits schnell gelangweilt.
Ihre Vorstellungskraft und ihre Ideen treiben sie dazu, ständig Neues auszuprobieren – oft bis zur Überforderung. Besonders, wenn sie Eltern werden und noch weniger Zeit für die Umsetzung eigener Projekte haben.
Ein Drahtseilakt, der sie fordert, aber auch bereichert.
In dieser Podcastfolge spreche ich mit Tanja Herrmann-Hurtzig, Business Coach, über das Potenzial der hochsensiblen Multitalente und warum es gerade im Berufsleben oft verkannt wird.
Und in dieser Podcastfolge geht es darum, dass sich PersonalerInnen so gut wie gar nicht - aber auf jeden Fall zu selten, mit diesem Thema auskennen und worauf man bei einer Bewerbung besser achten könnte.
Und wie sieht es bei Kindern aus?
Hier ein sehr erhellendes Video von Emilie Wapnick, wie man oft schon als Kind vor einer unbeantwortbaren Frage steht. Gerade wenn man 'zu viele' Interessen hat und sich nicht wirklich für ein Berufsthema oder den EINEN Karriereweg entscheiden kann:
Erkennt sich zumindest EIN Elternteil in diesem ‚Typ‘ der Hochsensibilität, liegt es nahe, dass das eigene Kind auch ähnlich gestrickt ist.
Diese Kinder bringen ihre Eltern oft zur Weißglut, solange Unkenntnis über dieses Persönlichkeitsmerkmal herrscht.
- Sportarten, Club-Mitgliedschaften und Projekte werden begonnen und nach 2-3 Monaten wieder beendet – weil das Wesentliche für das Kind erreicht ist.
- Sie sind mit vielen Interessen und vielen Talenten und Begabungen geboren und verfügen über schnelles Denken. Sie sind überdurchschnittlich schnell und gut in neuen Themen und Bereichen,
- doch wollen viele begonnene Interessensgebiete nicht bis zum Ziel (aus Erwachsenensicht) fertiggestellt oder geübt werden,
- weil um die Ecke schon wieder ein neues interessantes Projekt wartet, dem sie sich mit der (anfangs) üblich hohen Begeisterung komplett widmen wollen.
Man sieht also: Extravertierte Hochsensible bringen spannende Gegensätze in Einklang:
Sie sind gleichzeitig erhöht reizwahrnehmend und abenteuerlustig, reflektiert und 'risikofreudig.' Dieses Zusammenspiel macht sie zu vielseitigen Persönlichkeiten, die die Welt auf besondere Weise bereichern.
Wie erlebst du Hochsensibilität – bei dir selbst oder anderen? Teile deine Gedanken und lass uns die Vielfalt hochsensibler Menschen feiern!
Vertiefe gerne dein Wissen über Reizverarbeitung und manch sonderbarem Verhalten, das bei einigen Kindern beobachtbar ist und enttarne Mythen, die dein Verständnis für sensorische Herausforderungen blockieren.